Dienstleistungen 4.0

IHK Reutlingen, Tübingen und ZollernalbFoto: koya979 - Fotolia.com

Der IHK-Dienstleistungsausschuss setzt sich im Interesse der regionalen Dienstleistungswirtschaft für zukunftsfähige wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der Region Neckar-Alb ein und berät die Vollversammlung der IHK Reutlingen bezüglich wirtschaftspolitischer Fragestellungen.

Der Ausschuss hat in dieser Funktion politische Positionen ausgearbeitet und Impulse an die Politik formuliert. Die meisten der formulierten Forderungen richten sich dabei an die Landes- und Bundespolitik. Aus Sicht des Ausschusses ist es wichtig, dass diese von den politischen Vertretern der Region Neckar-Alb auf Landes- und Bundesebene eingebracht werden. In der Bau- und Flächenpolitik stehen jedoch ausdrücklich die Kommunen in der Pflicht ausreichend Flächen für die Wohnraum- und Gewerbeflächenentwicklung bereitzustellen.

Das Papier wurde von der IHK-Vollversammlung beschlossen.

Die Forderungen des Branche im Einzelnen:

Digitalisierung und Geschäftsmodelle

Hintergrund
Mit dem Schwerpunkt auf dienstleistungs-, technologie- und innovationsorientierte Wirtschaftszweige sind in der globalisierten und digitalisierten Welt besondere Möglichkeiten und Chancen verbunden. Ziel sollte es sein, die Zukunftstrends in den Bereichen Industrie 4.0 und Neue Mobilität aktiv zu fördern und mit der Transformation der Beratungsberufe zu vernetzen – da in diesen Bereichen der größte Strukturwandel bevorsteht. Hierfür ist es wichtig Innovationen in Digitalisierung zu ermöglichen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Impuls an die Politik
Neue digitale Dienstleistungen und Services sind Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung und tragen wesentlich dazu bei, dass der Standort auch in Zukunft eine starke Wirtschaftskraft aufweisen kann. Das gilt insbesondere für Gründungen, die sich mit neuen Technologien und innovativen Geschäftsideen auf dem Markt etablieren wollen.

Die Politik ist gefordert, ein unternehmerfreundlicheres Klima zu schaffen und bürokratische Beschränkungen umgehend abzubauen, um die Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft bestmöglich zu nutzen. Gründer sind mit einer Vielzahl von Behördengängen konfrontiert. Eine zentrale Stelle, die möglichst viele Anmeldungen und Genehmigungen zusammenfasst, schafft Abhilfe, um Gründungen schnell, zentral und digital zu ermöglichen. Darüber hinaus müssen Förderprogramme für junge Unternehmen durch Senkung des bürokratischen Aufwandes in Vergabe und Nachfolge nutzbarer gemacht werden.

Maßnahmen aus Sicht der regionalen Dienstleistungswirtschaft

  • Unternehmerfreundlicheres Klima schaffen
  • Gründungen fördern und Beschränkungen abbauen
  • Zentrale Verwaltungsstellen für Gründer einrichten
  • Öffentliche Ausschreibungen so vereinfachen, dass sich Start-ups daran beteiligen können

Fachkräfte und Wissenstransfer

Hintergrund
Bei der systematischen Entwicklung neuer Dienstleistungen und Services sind die Unternehmen der Branche auf einen guten Kontakt zu Forschung und Entwicklung angewiesen. Neue Technologien, wie beispielsweise Künstliche Intelligenz und Quanten-Computer, werden diese Entwicklung noch weiter verstärken. Die Dienstleistungswirtschaft ist aktuell und zukünftig besonders von Fachkräfteengpässen betroffen. Die sehr angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Region hat dabei direkte Auswirkungen auf die Gewinnung von Fachkräften.

Impuls an die Politik
Die praktische Umsetzung von Forschungsergebnissen für Unternehmen ist zu unterstützen und die Kontakte zwischen Hochschulen und Unternehmen der Dienstleistungswirtschaft sind weiter auszubauen. Der regionalen Wirtschaft werden bis 2030 aufgrund der demographischen Entwicklung rund 29.000 Fachkräfte fehlen, daher stellt die Integration und Ausbildung von Fachkräften eine der großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die kommenden Jahre dar. Hier müssen Beschränkungen abgebaut und Erleichterungen bei der Zuwanderung für Hochqualifizierte im Rahmen der Blue-Card und für beruflich Qualifizierte umgesetzt werden. Die Dienstleistungswirtschaft der Region fordert mehr Anstrengungen, um die Region bei potenziellen Fachkräften bekannter und attraktiver zu machen. Dazu zählen eine offensive und koordinierte Werbestrategie sowie eine verstärkte Sprachförderung im Ausland. Die Zielsetzung des Gesetzgebers, mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz für mehr Rechtssicherheit und Klarheit bei der Integration von Fachkräften zu sorgen, wird begrüßt. Um die Zuwanderung benötigter Fachkräfte in der Praxis zu ermöglichen, müssen allerdings bürokratische Hürden weiter abgebaut werden. Die IHK bietet mit ihren Weiterbildungsangeboten eine gute Basis, um das Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Leben zu füllen.

Für die Fachkräfteentwicklung ist es zudem von enormer Bedeutung, dass ein breitgefächertes Wohnungsangebot zur Verfügung steht. Der durchschnittliche Preis für Neubauten in Baden-Württemberg ist laut Statistischem Landesamt seit 2010 um mehr als 18 % gestiegen. Trotz des großen Bedarfs sinkt die Zahl der Baufertigstellungen und damit auch des Wohnungsangebots. Die Bau- und Flächenpolitik in den Kommunen muss derart ausgestaltet werden, dass ausreichend Flächen auch für private Projektentwickler zur Verfügung stehen, um weiter Angebote am freien Wohnungsmarkt für die Mittelschicht zu ermöglichen.

Eine verstärkte interkommunale Zusammenarbeit in der Flächenpolitik ist dabei ein wichtiger Baustein für die Region. Mit der Novelle der Landesbauordnung 2019 sollen die meisten Schriftformerfordernisse in baurechtlichen Verfahren aufgehoben werden. Damit Bauanträge und Bauvorlagen einfach und digital eingereicht werden können, müssen die kommunalen Behörden hierfür die technischen und personellen Voraussetzungen schaffen und nicht von ihrer Möglichkeit einer Nachreichung in Schriftform bis Ende 2021 Gebrauch machen.

Maßnahmen aus Sicht der regionalen Dienstleistungswirtschaft

  • Forschungsergebnisse praktisch umsetzen
  • Zugang zum Arbeitsmarkt für ausländische Fachkräfte erleichtern
  • Werbestrategie für Fachkräfte entwickeln
  • Wohnraumangebote für Fachkräfte ermöglichen
  • Interkommunale Zusammenarbeit in der Flächenpolitik ausbauen
  • Baugenehmigungsverfahren beschleunigen

Infrastruktur und Netzwerke

Hintergrund
Eine leistungsfähige Infrastruktur ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die positive Entwicklung der Dienstleistungswirtschaft. Der Wirtschaftsstandort Neckar-Alb weist nach wie vor erhebliche Defizite in der Verkehrsanbindung auf. Neben ausgebauten Verkehrswegen für alle Verkehrsträger, wird besonders die digitale Infrastruktur zum entscheidenden Standortfaktor.

Impuls an die Politik
Für Investitionen in die Infrastruktur ist nach Jahren mit Rekordeinnahmen jetzt der richtige Zeitpunkt. Entscheidend sind schnelle Umsetzungen binnen drei bis fünf Jahren. Hierfür müssen dringend die rechtlichen und planerischen Voraussetzungen geschaffen werden. Bei der Planung von Infrastrukturmaßnahmen sollte eine erhöhte Transparenz geschaffen werden und Synergien, beispielsweise im Straßenbau, besser genutzt werden. Es darf in Zukunft nicht mehr passieren, dass bei der Planung von Wohn- und Gewerbegebieten die Breitbandversorgung nicht mitgedacht wird.

Laut des Regionalverbandes Neckar-Alb pendeln 72 Prozent der Angestellten in der Region jeden Tag zu ihrer Arbeitsstelle. Die Bundesstraße 27 steht exemplarisch für die verkehrspolitischen Probleme der Region. Ein Nicht-Ausbau der B 27 verhindert die positive Entwicklung der Wirtschaft. Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass der öffentliche Personennahverkehr in der Region weiter ausgebaut wird. Eine bessere Anbindung über den ÖPNV an die Europäische Metropolregion Stuttgart fördert die Vernetzung und den Austausch innerhalb der Dienstleistungsbranche und schafft neue Perspektiven für die Unternehmen der Region. Der kreuzungsfreien Anbindung der Neckartalbahn von Stuttgart nach Tübingen über die Große Wendlinger Kurve im Bereich des Knotens mit der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm kommt dabei eine wichtige Rolle zuteil.

Ein flächendeckender Breitbandausbau mit Glasfaseranschlüssen ist die Geschäftsgrundlage für die wissens- und datenbasierten Geschäftsmodelle der Dienstleistungswirtschaft. Der Technologiestandort Neckar-Alb muss sich bei der digitalen Mobilfunkabdeckung – erst 4G, dann 5G – an die Spitze der Entwicklung stellen. Hierfür ist das Bekenntnis der staatlichen Ebenen als „Infrastruktur-Möglichmacher“ erforderlich.

Maßnahmen aus Sicht der regionalen Dienstleistungswirtschaft

  • Transparenz bei Planungsprozessen schaffen
  • Ausbau der Verkehrsinfrastruktur vorantreiben
  • Synergien beim Straßenbau nutzen
  • Leistung des ÖPNV erhöhen
  • Anbindung an die Metropolregion Stuttgart verbessern
  • Flächendeckende Breitbandversorgung mit Glasfaser ermöglichen
  • Spitzenreiter beim 5G-Ausbau werden

Bürokratieabbau und Wettbewerbsfreiheit

Hintergrund
Die Belastung der Unternehmen durch die staatliche Bürokratie nimmt stetig zu. Es gibt rund 2.200 Gesetze mit rund 46.000 Einzelvorschriften und 3.100 Verordnungen mit ungefähr 39.000 einzelnen Bestimmungen. Rund 130-mal pro Jahr tritt jedes Unternehmen mit Behörden in Kontakt. Der Zeit- und Kostenaufwand für die Bewältigung der steigenden Anforderungen ist untragbar geworden.

Impuls an die Politik
Die regionale Dienstleistungswirtschaft spricht sich gegen ein Zurückdrängen der Wettbewerbsfreiheit und für innovationsfreundliche und praxistaugliche Vorschriften und Genehmigungsverfahren aus. Unnötige Reglementierungen und Eingriffe in die freie Arbeitsplatzwahl müssen vermieden werden. Im Zuge der Digitalisierung verändern sich die Anforderungen an die Arbeitswelt – das Arbeitsleben wird vernetzter und flexibler. Besonders bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiten bedarf es daher eines größeren Spielraums für die Unternehmen. Hier muss eindeutig zwischen körperlicher Arbeit und wissensintensiven oder kreativen Tätigkeiten im Dienstleistungssektor unterschieden werden. Unternehmen benötigen bei der Ausgestaltung des orts- und zeitflexiblen Arbeitens mehr Handlungsspielraum, um betriebliche Regelungen mit den Beschäftigten zu vereinbaren. Das Thema Scheinselbständigkeit ist durch grundsätzliche Lösungen für Mindestabsicherungen beim Entstehen selbständiger Einkünfte, nicht durch nachherige Verfolgung zu lösen.

Das Beispiel des Bescheinigungswesens bei Entsendungen von Mitarbeitern (A1) in das Ausland verdeutlicht, wie bürokratische Anforderungen zu erheblichen Mehrbelastungen für Unternehmen führen. Die Landesregierung ist hier gefordert, europäische Vorschriften zu flexibilisieren und ihre Einflussnahme auf laufende EU-Rechtsetzungsverfahren weiter zu verstärken. Wenig praxistaugliche Verwaltungsverfahren stehen wirtschaftlichem Handeln zu oft im Wege. Nur eine digitale Verwaltung, die sich als Dienstleistungsplattform versteht, kann gegenüber der Wirtschaft und den Bürgern dauerhaft leistungsfähig sein.

Die geplante Einführung einer Verpackungssteuer der Universitätsstadt Tübingen ist ein Beispiel auf kommunaler Ebene für eine übermäßige Bürokratiebelastung. Die Steuer würde zu weiteren Dokumentationspflichten und Belastungen der Unternehmen führen und einen erheblichen Bürokratieaufbau für die Verwaltung bedeuten, da ihr aktuell nicht die personellen und organisatorischen Ressourcen für eine digitale Steuererhebung und -erfassung zur Verfügung stehen.

Maßnahmen aus Sicht der regionalen Dienstleistungswirtschaft

  • Wettbewerbsfreiheit garantieren
  • Arbeitszeiterfassung flexibilisieren
  • Mehr Handlungsspielraum bei orts- und zeitflexiblen Arbeiten durch eigenverantwortliche Lösungen ermöglichen
  • Berichts- und Dokumentationspflichten abbauen
  • Europäische Vorschriften flexibel umsetzen
  • Digitale Verwaltungsprozesse durchsetzen
Christoph Heise

Christoph Heise

Existenzgründung und Unternehmensförderung, Kommunikation,
IHK-Zentrale
Position: Stellvertretender Hauptgeschäftsführer, Bereichsleiter
Schwerpunkte: Pressearbeit, Redaktion "WNA | Wirtschaft Neckar-Alb", Online-Redaktion, Koordination Interessenvertretung
Telefon: 07121 201-174
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